In der Kinderarztpraxis ist der Empfang der Ort, an dem sich alles bündelt. Telefon, Tresen, Geschwisterkinder, Rückfragen aus den Behandlungszimmern, Formulare, digitale Terminportale. Genau dort soll nun auch noch eine Online Rezeption, ein KI Anrufbeantworter oder ein neues Tool aus der Praxissoftware dazukommen.
Für Praxisinhaberinnen und Praxisinhaber klingt das oft logisch. Weniger Telefonstress, strukturierte Anliegen, bessere Erreichbarkeit. Am Empfang selbst kommt es häufig anders an. Mehr Kanäle, mehr Komplexität, mehr Fehlerangst. Wenn Digitalisierungsprojekte scheitern, dann oft zuerst an dieser Stelle.
Der Punkt ist: Das Team am Empfang ist nicht gegen Digitalisierung, sondern erlebt sehr konkret, wo Prozesse und Praxisorganisation noch nicht mitgewachsen sind.

Warum der Empfang in der Kinderarztpraxis so sensibel ist

Der Empfang ist kein einfacher „Schalter“, sondern ein hoch verdichteter Entscheidungsort. Hier wird im Minutentakt bewertet:

  • Welcher Akutfall passt heute noch in die Sprechstunde
  • Welche Vorsorge kann geschoben werden
  • Welche Anfrage gehört zum Arzt, was kann im Team geklärt werden

Digitale Lösungen wie Online Rezeption, digitale Anamnese oder ein KI Anrufbeantworter greifen direkt in diese Logik ein. Wenn Rollen, Zuständigkeiten und Abläufe nicht klar geklärt sind, entsteht im Team das Gefühl, dass Digitalisierung vor allem zusätzliche Anforderungen schafft.

Fünf typische Signale aus dem Team – und was dahinter steckt

Die meisten Widerstände am Empfang sind gut begründete Warnsignale. Wer sie fachlich versteht, kann sie in bessere Prozesse übersetzen.

1. „Wir haben doch jetzt noch einen Kanal mehr“

Der Empfang ist oft schon vor der Digitalisierung am Limit. Wenn digitale Rezeption, Chat oder Portal „on top“ kommen, verdoppelt sich die Arbeit:
alles wie bisher plus ein neuer Eingangskanal.
Fachliche Übersetzung:

Digitalisierung am Empfang braucht ein klares Routing.

  • Welche Anliegen laufen grundsätzlich digital
  • Welche bleiben bewusst am Telefon oder vor Ort
  • Wer bearbeitet was, in welcher Zeit

Ohne diese Entscheidungen kann keine Kinderarztpraxis den Empfang sinnvoll digitalisieren.

2. „Was bleibt von meiner Rolle übrig“

Wenn Online Rezeption, KI Anrufbeantworter oder automatisierte Formulare Aufgaben vorstrukturieren, fragen sich MFA zurecht:
Bin ich hier noch Expertin oder nur noch „Abarbeiterin“ von Systemvorschlägen.

Fachliche Übersetzung:

Die Rolle am Empfang verändert sich, sie wird nicht überflüssig.

  • Weg vom reinen „Anruf annehmen“
  • hin zu Priorisieren, Entscheiden, Nachsteuern, Ausnahmen erkennen

Das muss klar benannt werden. Sonst bleibt Rollenangst im Raum, die jede Veränderung bremst.

3. „Wenn hier etwas schiefgeht, bekomme ich es ab“

Viele MFA haben weniger Technikangst als Fehlerangst. Wirklich bedrohlich sind Situationen wie:

  • ein falsch eingeschätzter Akutfall
  • eine übersehene digitale Nachricht
  • ein unzufriedenes Elternteil am Tresen, das „bei der Chefin“ landet

Fachliche Übersetzung:

Fehler sind systemrelevant, nicht personenbezogen.

  • Klare Eskalationswege
  • definierte Rückfragemöglichkeiten
  • und eine Fehlerkultur, in der Abläufe verbessert werden, statt Schuldige zu suchen

Ohne diesen organisatorischen Rahmen wird jede digitale Lösung als Risiko erlebt.

4. „Im Alltag ist das komplizierter, als es im Konzept klingt“

Viele Digitalisierungsprojekte entstehen aus Tool Sicht:
Was kann das System, welche Funktionen gibt es, welche Schnittstellen sind möglich. Am Empfang zählt Prozess Sicht:
Was passiert Montag früh um 8 Uhr, wenn alle Kanäle gleichzeitig aufgehen.

Fachliche Übersetzung:

Praxisdigitalisierung muss vom Alltag her gedacht werden.

  • Kleine Pilotbereiche definieren, zum Beispiel nur Wiederholungsrezepte oder bestimmte Akutanliegen digital abwickeln
  • Laufend prüfen: Was hat wirklich entlastet, wo entstehen neue Reibungen

5. „Wir werden gar nicht gefragt, wie es funktionieren könnte“

Wer am Empfang arbeitet, sieht als Erste, ob ein digitales System im Alltag funktioniert. Wenn diese Erfahrung nicht systematisch eingesammelt wird, bleibt das Team in der Rolle der „Bremser“.

Fachliche Übersetzung:

MFA am Empfang sind Fachexpertinnen für Umsetzbarkeit.

  • Testphasen bewusst mit ausgewählten Mitarbeitenden am Empfang planen
  • nach zwei bis vier Wochen strukturierte Rückmeldungen einholen
  • Checklisten und SOPs gemeinsam anpassen

So wird aus vermeintlichem Widerstand wertvolles Prozesswissen.

Drei Schritte, um Widerstände am Empfang systematisch zu bearbeiten

Für Praxismanagement und Organisationsverantwortliche ist es hilfreich, strukturiert vorzugehen. Ein möglicher Rahmen:

1. Verstehen

  • Kurze, gezielte Runde mit den MFA am Empfang
  • Fragen: Wo genau entsteht Mehrarbeit, wo Fehlerangst, wo Unklarheit
  • Ergebnisse dokumentieren, nicht nur „zur Kenntnis nehmen“

2. Priorisieren

  • Welche Probleme haben direkte Auswirkungen auf Patientensicherheit und Teambelastung
  • Was lässt sich kurzfristig klären (z. B. Verantwortlichkeiten, Eskalationswege)
  • Was braucht mittelfristige Prozessarbeit (z. B. Anpassung Terminlogik, Rollenbeschreibung)

3. Verändern

  • Konkrete, kleine Anpassungen umsetzen: Routing, Checklisten, Zuständigkeiten
  • in der Pilotphase klar kommunizieren: Was testen wir, was gilt nur vorübergehend
  • nach einer definierten Zeit (zum Beispiel vier Wochen) erneut Feedback einholen und nachjustieren

So wird Digitalisierung am Empfang nicht zur Dauerbaustelle, sondern zu einem gelebten Verbesserungsprozess.

Was Praxisinhaber:innen konkret gewinnen

Wenn der Empfang in der Kinderarztpraxis strukturiert digitalisiert wird, profitieren nicht nur MFA, sondern auch die ärztliche Seite:

  • weniger Unterbrechungen in der Sprechstunde, weil Anliegen besser vorgefiltert sind
  • mehr Planbarkeit bei Akut- und Vorsorgeterminen
  • weniger Konflikte am Tresen, weil Regeln und Wege klar sind
  • geringere Abhängigkeit von einzelnen Schlüsselpersonen, weil Abläufe dokumentiert sind

Diese Effekte entstehen nicht durch die Einführung eines Tools, sondern durch die Kombination aus klarer Praxisorganisation und passender Technologie.

MFA als Schlüssel für eine realistische Digitalisierung

Digitalisierung am Empfang funktioniert nur mit, nicht gegen das Team. MFA bringen drei Dinge mit, die keine Software ersetzen kann:

  • situatives Gespür für Dringlichkeit und Stimmung
  • tiefes Wissen über Abläufe und inoffizielle „Abkürzungen“
  • unmittelbares Feedback aus Gesprächen mit Eltern und Kindern

Wer dieses Wissen bewusst nutzt, macht das Team am Empfang nicht zum Hindernis, sondern zur wichtigsten Ressource bei der Praxisdigitalisierung.

Und damit bleibt eine offene Frage:
Digitalisierung ist (noch) nicht Teil der MFA-Ausbildung.
Wie können Kinderarztpraxen digitale Kompetenzen systematisch aufbauen, ohne den Alltag zusätzlich zu überlasten. Genau darum geht es im nächsten Beitrag.